Nach der Jugendhilfe auf eigenen Beinen stehen

Datum: 03.01.2017 | Interview mit Robin | geführt von Astrid Staudinger | Interview zum Download als PDF

Der Wohnführerschein Jugendhilfe

Für Jugendliche die aus der Jugendhilfe in eine eigene Wohnung ziehen möchten, ist dies meistens ein Neuland. Verschiedene Träger bieten hierfür einen Trainingskurs „Wohnführerschein Jugendhilfe“ an, der Jugendliche in dieser Situation unterstützt. Um zu erfahren, wie sich das gestaltet, haben wir mit einem Careleaver ein Interview geführt:

Interview mit Robin vom 03.01.2017

Interview mit Careleaver Robin (24), der den Trainer_innen-Schein für den Wohnführerschein Jugendhilfe gemacht hat. 

A. Staudinger: Robin, Du bist angehender Sozialarbeiter und auch engagierter Careleaver und Du hast den Trainer_innen-Schein für den Wohnführerschein Jugendhilfe beim JaKuS e.V. gemacht. Was hat Dich dazu motiviert, und in welchem Rahmen willst Du den Trainer_innen-Schein einsetzen? Wer den Trainer_innen-Schein hat, darf ja selbst Wohnführerschein-Schulungen anbieten, oder?

Robin: Ich arbeite seit Februar 2016 als Honorarkraft für das Jugendamt Stuttgart und begleite das Projekt „Careleaver – Stark für die Zukunft“. Im Rahmen von Careleaver – Stark für die Zukunft möchten wir Careleaver und Care Receiver ansprechen. Wir möchten sie auf den Übergang in die Selbstständigkeit vorbereiten und ihnen im Nachhinein die Möglichkeit geben, an Ehemaligentreffen teilzunehmen. Schnell wurde uns bewusst, dass der Wohnungsmarkt in Stuttgart eine der größten Herausforderungen darstellt. Der Wohnraum in Stuttgart kann der Nachfrage an günstigen Wohnungen nicht nachkommen. Es gibt viele junge Erwachsene, die sich trotz ihres Gehaltes für ein WG-Zimmer entscheiden, weil Stuttgart mittlerweile zu den teuersten Städten Deutschlands gehört. Unter diesen Umständen ist es natürlich umso schwerer, als Careleaver ein WG-Zimmer zu finden. Auf Grund dessen haben wir uns entschieden, Wohnführerschein-Kurse auch in Stuttgart anzubieten. In einem nächsten Schritt werden wir versuchen, mit Wohngenossenschaften in Kontakt zu treten, sodass unsere Jugendlichen und jungen Erwachsenen bevorzugt WG-Zimmer oder Wohnungen zur Verfügung gestellt bekommen. Die Kosten für den Wohnführerschein-Kurs werden durch die Projekt-Fördermittel gedeckt und stehen den Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus den Wohngruppen der Abteilung „Erziehungshilfen“ im Jugendamt Stuttgart offen.

A. Staudinger: Was habt Ihr bei der Schulung inhaltlich gelernt und welche Fähigkeiten eingeübt?

Robin: Der Wohnführerschein-Kurs richtete sich an pädagogische Fachkräfte, die den Wohnführerschein zukünftig auch anbieten möchten. Wir haben uns mit Mietrecht beschäftigt, Nachbarschaftskonflikte anhand von Rollenspielen dargestellt und Lösungsansätze erarbeitet und ganz praktisch gelernt, wie man Waschmaschinen anschließt, Stromzähler bedient und Schönheitsreparaturen durchführt. Neben den Themen, die auch in den Wohnführerschein-Kursen angesprochen werden, haben wir auch gelernt, wie man Gruppen anleitet, Konflikte innerhalb einer Gruppe löst und Jugendliche und junge Erwachsene motiviert, regelmäßig an den Modulen (7 Module = 7 x 2,5 Stunden)

A. Staudinger: Ich höre manchmal von sozialpädagogischen Fachkräften, dass sie den WFS als eher überflüssig betrachten; entweder, weil sie denken, dass diese Inhalte und Fähigkeiten bereits im Rahmen von Betreuten Einzelwohnen und anderen Hilfen vermittelt werden, oder weil sie meinen „wohnen kann doch jeder“. Wie siehst Du das?

Robin: Ich glaube, dass Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen ihre eigene Arbeit begutachten müssen, um für sich zu entscheiden, ob ein zusätzliches Angebot wie der Wohnführerschein notwendig ist. Es gibt Careleaver, die für sich keinen Bedarf sehen, weil sie die Möglichkeit bekommen haben, das alles im Rahmen vom Betreuten Einzelwohnen zu lernen. Es gibt aber auch Careleaver, die direkt nach der vollstationären Jugendhilfe sich selbst überlassen wurden und sich (meist zu spät) mit Themen wie Mietrecht alleine auseinandersetzen mussten.

A. Staudinger: Wir wissen aus dem, was Careleaver bei den Netzwerktreffen erzählen, dass sie beim Übergang aus der Jugendhilfe in die Verselbstständigung jede Menge Schwierigkeiten haben. Abgesehen von Einsamkeit und Überforderungsgefühlen wird immer wieder von ganz praktischen Problemen berichtet: Da bräuchte jemand eine Leiter und weiß nicht, woher nehmen. Die Waschmaschine müsste angeschlossen werden, aber die Person kann das nicht. Oder jemand wundert sich über die Höhe der Stromrechnung, obwohl er/sie kaum Strom verbraucht, weil die Person nicht weiß, dass sie monatlich eine Abschlagszahlung leistet, und nicht den tatsächlichen Verbrauch bezahlt. Ich könnte diese Aufzählung noch sehr lange fortsetzen … Bietet der Wohnführerschein für solche Themen Informationen und Handlungsanleitungen? Denkst, dass Careleaver, die den WFS haben, in praktischen Dingen fitter sind bzw. sich bei den beschriebenen Themen sicherer fühlen, als die ohne WFS?

Robin: Ja, auf jeden Fall! Ich selbst bin in einer Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung groß geworden und hatte das Glück, ins Betreute Wohnen gehen zu können. Dennoch habe ich in den zweieinhalb Jahren nicht die Dinge gelernt, die einem im Wohnführerschein-Kurs nahegelegt werden. In den Wohnführerschein-Kurs wird man auf Extremfälle aufmerksam gemacht. Was passiert, wenn ich einen Wasserschaden habe? Was muss ich machen, wenn ich von meinen Nachbarn wegen Ruhestörung angezeigt wurde? Kann ich meine Geschwister vorübergehend bei mir wohnen lassen? Das sind Fragen, die sich einem häufig im Betreuten Wohnen nicht stellen, aber in den Jahren danach einem begegnen. In den praktischen Dingen können auch Jugendliche und junge Erwachsene aus dem Betreuten Wohnen ohne Wohnführerschein sehr fit sein, wenn die Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen ihnen die Fähigkeiten praxisnah vermitteln.

A. Staudinger: Die Träger, die in Berlin den WFS Jugendhilfe anbieten, haben auch Kooperationsvereinbarungen mit Wohnungsunternehmen. Daraus entsteht keine Verpflichtung für die Wohnungsunternehmen den jeweiligen Careleavern eine Wohnung zu geben, aber vielleicht sind die Careleaver mit WFS doch attraktiver als Mieter_innen. Wie schätzt Du das ein: Wie wichtig ist der Aspekt „mit WFS leichter eine Wohnung bekommen“ für die Careleaver, die den WFS machen?

Robin: Ich glaube, dass der Aspekt sehr wichtig, aber nicht ausschlaggebend ist. Der Wohnführerschein kann auch ohne Kooperationsvereinbarungen mit Wohngenossenschaften bereichernd sein. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen lernen vieles, das sie im Nachhinein gut gebrauchen können. Und das Zertifikat hinterlässt bei Vermieterinnen und Vermietern einen bleibenden Eindruck, unabhängig davon, ob sie sich verpflichtet haben, Careleaver mit Wohnführerschein bevorzugt zu nehmen. In erster Linie zählt das erworbene Wissen, aber wir möchten den Jugendlichen und jungen Erwachsenen auch ermöglichen, durch den Wohnführerschein-Kurs in Kontakt mit Wohngenossenschaften zu treten, in der Hoffnung, dass sie einen positiven Eindruck hinterlassen.

A. Staudinger: Vielen Dank für das Interview.

 

Weitere Informationen zum Wohnführerschein unter:

www.wohnfuehrerschein-jugendhilfe.de und

www.wohnfuehrerschein.de

 

 

Astrid Staudinger

Careleaver-Kompetenznetz

Familien für Kinder gGmbH

Stresemannstr. 78 ·  10963 Berlin

Tel: 030 / 21 00 21-29 – Fax: 030 / 21 00 21-24

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