Careleaver-Positionen zur SGB-VIII-Reform
Das Positionspapier wurde gemeinsam mit Careleavern im Rahmen von Netzwerktreffen erarbeitet. Als Diskussionsgrundlage dienten der Entwurfstext vom 23.08.2016, die Begründung, sowie einige der zahlreichen Stellungnahmen. Auf Grund der Fülle und Komplexität des Materials haben wir uns auf die für Careleaver wichtigsten Aspekte und Fragen konzentriert.
Die Positionen wurden dem Bundesministerium zugesandt.
1) Die geplante Einführung des Leistungsbegriffs lehnen wir ab: Unter Hilfe verstehen wir „Hilfe zur Selbsthilfe“. Es sollte in erster Linie um den individuellen pädagogischen Bedarf gehen, der in einem gemeinsamen Prozess erarbeitet wird, nicht um eine (Finanz- bzw. Dienst-) Leistung, die einer Person vom öffentlichen Jugendhilfeträger zugeteilt wird.
2) § 41 SGB VIII Leistungen zur Verselbstständigung für junge Volljährige: Ein Rechtsanspruch auf die Fortsetzungshilfe ist hilfreich, sofern dies beinhaltet, dass die Hilfeform gewechselt werden kann.
Frage: Was genau fällt unter die Fortsetzung der Leistungen?
- Der Zugang zur Hilfe für erstantragstellende junge Volljährige sollte erleichtert statt erschwert werden. Junge Volljährige beantragen nicht ohne Grund eine Hilfe für junge Volljährige.
- Wir kritisieren die Reduzierung der Zielsetzung unter § 41 SGB VIII auf Verselbstständigung. Diese Einschränkung wird der Fülle der Themen und Problematiken des Jugendalters nicht gerecht. Junge Menschen haben ein Recht auf Unterstützung bei der Persönlichkeitsentwicklung.
- Im Elternhaus Aufwachsende werden in vielfältiger Weise und ca. bis Mitte zwanzig unterstützt. Warum wird von Volljährigen in der Jugendhilfe so viel eher erwartet, allein klarzukommen?
- Wir fordern für alle jungen Volljährigen, die dies nach ihrer eigenen Einschätzung benötigen, individuelle und bedarfsgerechte Hilfen, statt eines vorrangigen Verweises auf § 13 SGB VIII Jugendsozialarbeit. Die Vorrangigkeit spiegelt die unterschiedlichen Hilfebedarfe nicht wider. Junge Volljährige sind ganz unterschiedliche Individuen, sie bilden keine homogene Gruppe: Sie leben auf der Straße, befinden sich in der Ausbildung, in einer Klinik, wollen das Abitur schaffen, suchen eine Praktikumsstelle, haben eine Behinderung, haben (keine) Freunde, (k)ein gutes Verhältnis zur Familie, sind Waisen u.v.m.
Frage: Wie wird Verselbstständigung hier definiert? - Careleaver im Übergang wollen selbst über ihre schulische/berufliche Ausbildung und ihren Lebensort entscheiden. Trotzdem können sie einen Jugendhilfebedarf haben.
Frage: Bedeutet der Vorrang von Hilfen nach § 13 SGB VIII, dass nun junge Volljährige aus WGs oder bei Pflegeeltern in Einrichtungen der Jugendberufshilfe wechseln sollen, obwohl sie gerade ihren Schulabschluss machen oder ihre Ausbildung absolvieren und weiterhin in ihrer bisherigen Umgebung leben möchten?
Frage: Gelten auch ein angestrebtes Abitur o.ä. Bildungsziele als Verselbstständigungsziele? - Wir kritisieren die Koppelung von Jugendhilfeleistungen an eine positive Prognose. Gerade Jugendliche mit einer schlechten Prognose können Jugendhilfeleistungen besonders benötigen. Vielleicht brauchen sie mehr Motivation von außen, mehr Zeit oder ein anderes Angebot. Junge Menschen haben ein Recht auf Scheitern und Umwege.
3) § 36 b SGB VIII Hilfeauswahl: Wir fordern Kooperation und Beteiligung, die diesen Namen verdient, statt der (billigsten?) Hilfe, die vorgeschrieben wird. Wir lehnen die einseitige Steuerungsgewalt der öffentlichen Träger ab.
4) Wir fordern, dass unbegleitete minderjährige Geflüchtete bei der Hilfegewährung gleichberechtigt sind.
5) § 36 f SGB VIII Übergangsmanagement: Diese Regelungen können hilfreich sein, sofern sie bewirken, dass damit in Zukunft Finanzierungslücken am Ende von Jugendhilfemaßnahmen vermieden werden können. Wir sehen aber die Gefahr, dass 17-Jährige in Zukunft (noch mehr als aktuell schon) darauf hingewiesen werden, die Jugendhilfe würde „normalerweise“ mit 18 enden.
6) Die Änderungen zur Kostenheranziehung stellen nur teilweise eine Verbesserung dar (geringere Heranziehung). Dass die Möglichkeit der Befreiung von der Kostenheranziehung (bisherige Ermessensentscheidung) gestrichen wird, bedeutet in vielen Einzelfällen jedoch eine enorme Verschlechterung. Einen weiteren Rückschritt sehen wir darin, dass Tätigkeiten im sozialen und kulturellen Bereich überhaupt nicht mehr erwähnt sind.